Mülllos in die Zukunft?

6. Atriumgespräch in Aschersleben

Michael Braungart und Holger Sasse gelten als Flaggschiff der Kreislaufwirtschaft. Sie wollen Aschersleben zum Vorreiter machen.

Regine Lotzmann, MZ: Armin Willingmann (SPD) hat es sich nicht nehmen lassen: Auch in diesem Jahr hat sich Sachsen-Anhalts Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt seinen
Abend wieder freigemacht, um am Ascherslebener Atriumsgespräch - dem inzwischen sechsten
- teilnehmen zu können. Nicht nur aus Pflichtbewusstsein - „schließlich bin ich der zuständige
Minister für die Kreislaufwirtschaft“, sondern auch aus großem Interesse. „Ich bin nämlich neugierig“, gesteht er angesichts des Themas „Cradle-to-Cradle“, das gerade auch im Ministerium diskutiert wird, und der beiden Referenten Michael Braungart und Holger Sasse, die er als Flaggschiff für dieses Kreislauf-System bezeichnet.

Volksbank als Initiator

Material- und Energieverfügbarkeit, Umweltschutz und eine seit ewigen Zeiten nicht dagewesene Inflation seien die Probleme, die Deutschland gerade bewege, meint Heino Oehring, Vorstand der Harzer Volksbank, die zu den Initiatoren des Atriumsgespräches
zählt, das regelmäßig in ungezwungener Atmosphäre Politiker und regionale Unternehmer
zusammenbringt. Dieses Mal geht es den Organisatoren um bezahlbare Energien,
gesunder und nachhaltiger Lebensweise und die ausreichende Verfügbarkeit von Rohstoffen.
Gibt es tatsächlich einen perfekten Kreislauf, der keinen Abfall hinterlässt? Oehring freut sich
deshalb, mit Braungart den Begründer des Cradle-to-Cradle- Prinzips, einen herausragenden, visionären Wissenschaftler und international tätigen Professor
gewonnen zu haben, der auf solche Fragen Antworten hat. „Er gilt“, so Oering, „vielen als Retter der Welt.“ Michael Braungart versucht dann auch, die zahlreichen Gäste des Abends - darunter Unternehmer, Stadträte, Bürgermeister, auch der ehemalige OB der Stadt
Aschersleben - mitzureißen und prägt starke Zitate. Die von allen angestrebte Klimaneutralität prangert er an. „Kein Baum ist klimaneutral. Er ist gut fürs Klima“,
macht der Wissenschaftler klar. Und schiebt hinterher: „Wir denken,wir schützen die Umwelt, indem wir sie etwas weniger zerstören?“ Deshalb fragt er provokant: „Wäre es nicht viel sinnvoller zu fragen, wie es wäre, wenn wir wirklich versuchen, für die anderen Lebewesen gut zu sein? Wir sollten klimapositiv und nicht - neutral sein!“

Aschersleben als Vorreiter?

Braungart, der im nächsten Monat den deutschen Nachhaltigskeitpreis verliehen bekommt, will deshalb auch in Aschersleben um Vertrauen werben, neue Wege zu gehen. „Es hilft uns nicht, ein bisschen schädlich zu sein. Wir brauchen ein anderes Denken.“
Auch in Richtung Willingmann fragt er deshalb: „Wie wäre es für Sachsen-Anhalt zu sagen: Wir sind das erste Land, das klimapositiv werden möchte?“ So sollten alle Dinge, die verschleißen, so gemacht werden, dass sie nützlich sind, erklärt er mit Blick auf
den Mikroplastikabrieb von Schuhsohlen und Autoreifen oder die mit Skiwachs verseuchten Gewässer in den Bergen. Biologische Kreisläufe seien deshalb wichtig. Hier könnte Aschersleben ein Vorreiter werden.
„Es gibt keinen Abfall mehr. Denken Sie sich alles als Nährstoff, als wichtig für die Umwelt.“
So wäre es sinnvoller, Plastik nur noch aus dem Kohlendioxid der Atmosphäre zu gewinnen, wertvollen Boden zurückzuholen und seltene Stoffe wiederzuverwerten.
„Das Energieproblem können wir durch die Sonne lösen, aber die seltenen Buntmetalle müssen wir erhalten.“ Der Professor erinnert auch an das gut funktionierende Serosystem
der DDR, das damals aus einer Mangelwirtschaft heraus resultierte.
„Das war aber überlegen und sollte übernommen werden“,
meint der Redner und fragt: „Wie wäre es, wenn wir in Aschersleben zeigen, wie das funktioniert?“ Es könnte für alle Verpackungen, die aus dem gleichen Stoff entstehen
sollten, ein Pfand erhoben werden. Das würde für einen guten Rücklauf sorgen.
Dass es einen solchen Materialkreislauf in Aschersleben bereits gebe, kann Holger Sasse, Geschäftsführer der Firma Novotech, deutlich machen. Er hatte als erfolgreicher Bauunternehmer mit Novotech 2005 einen kompletten Neustart gewagt und sich inzwischen zu einem europäischen Marktführer entwickelt.
Seine Firma stellt mit Megawood ein Material her, das aus Hobelund Sägespänen, also Holzverarbeitungsresten, und einem Kunststoff besteht, lange haltbar ist, wiederverwertet werden kann und das tropische Hartholz Bangkirai ablöst. „Ein Rohstoff, für den man nicht mal einen Baum fällen muss.“ Das Besondere: „Die Kreislaufwirtschaft kennt keinen Müll.
Jedes Produkt von heute ist unser Material von morgen“, macht Sasse klar.

Notwendige Philosophie

„Das Cradle-to-Cradle-System ist aber auch wirtschaftlich sinnvoll und eine objektive Notwendigkeit, die gelebt werden kann“, sagt der Novotech-Chef und gibt zu, ein Fan von Braungart zu sein. „Ich habe Hochachtung davor, dass er so lange durchgehalten
hat. 32 Jahre lang musste er zusehen, wie sich die Welt in eine Wegwerfgesellschaft
verwandelt hat.“ Doch er habe dem Land eine Philosophie gegeben, die für alle hilfreich
und objektiv notwendig sei, so Sasse, der diesen Mann unbedingt kennenlernen wollte, weil er dessen Thesen mit Leben erfüllen will. Auch für seine drei Kinder und fünf Enkel. „Wir können die große Welt nicht ändern, was wir aber können, das ist, vor der eigenen
Haustür Ordnung zu halten“, meint Holger Sasse und hofft, dass der Welterschöpfungstag, an dem alle nachwachsenden Rohstoffe aufgebraucht sind und den es in diesem Jahr am 28. Juli gab, wieder auf den 31. Dezember fällt. Das habe es zuletzt in den 80er Jahren gegeben.